Besondere Schutzbedürftigkeit / Vulnerabilität
Rechtsrahmen
Alle geflüchteten Menschen haben gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention besondere Rechte, wenn sie in Deutschland einen Asylantrag stellen. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) definiert darüber hinaus besondere Schutzbedürftigkeit über die Aufnahmerichtlinie (AufnRL 2013/33/EU), die Mindeststandards für die Aufnahme und Versorgung von Asylsuchenden festlegt sowie über die Verfahrensrichtlinie (in VerfRL2013/32/EU), die Mindestnormen für das Asylverfahren definiert. Diese Richtlinien sind ein wichtiger Anhaltspunkt, weil nicht jede Person die gleichen Möglichkeiten hat ihre Rechte einzufordern. Bestimmte Personengruppen haben daher auf diesen Rechtsgrundlagen ein Anrecht auf besonderen Schutz und bedarfsgerechte Unterstützung, um Benachteiligungen im Asylverfahren und in der Versorgung auszugleichen.
Die Rechte von Geflüchteten mit besonderen Schutzbedarfen werden darüber hinaus auf internationaler Ebene in zahlreichen Konventionen und Vereinbarungen festgehalten, etwa in der Istanbulkonvention oder der EU-Behindertenrechtskonvention.
Auf nationaler Ebene in den Landkreisen in Sachsen-Anhalt regelt das Landesaufnahmegesetz (AufnG) die Aufnahme und Versorgung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter. Deutschlandweit gibt es bislang kein landesweites einheitliches Verfahren zur Identifizierung und Versorgung von besonderen Schutzbedarfen.; in vielen Bundesländern und Landkreisen fehlt eine Konzeption zur Umsetzung der Aufgaben gänzlich. Auch in Sachsen-Anhalt mangelt es bislang an einem dringend notwendigen Identifizierungskonzept für besondere Schutzbedarfe von Geflüchteten.
Personengruppen
Im gemeinsamen europäischen Asylsystem (GEAS) werden in der AufnRL 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) und VerfRL2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) eine Reihe von Personengruppen benannt, welche zu den besonders Schutzbedürftigen gehören. Zu diesen zählen:
- (unbegleitete) Minderjährige
- Menschen mit Behinderung
- Ältere Menschen
- Schwangere und alleinerziehende mit minderjährigen Kindern
- Betroffene von Menschenhandel
- Personen mit schwerer körperlicher Erkrankung
- Personen mit psychischen Erkrankungen
- Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige Formen schwerer psychischer,
- physischer oder sexueller Gewalt überlebt haben (z.B. FGM)
In der Richtlinie zwar nicht benannt, aber von Deutschland als Geflüchtete mit besonderen Bedarfen anerkannt, sind zudem:
- Alleinreisende Frauen
- Queere / LGBTIQ* Geflüchtete
Wichtig zu benennen ist zudem, dass die einzelnen besonderen Bedarfe nicht immer klar voneinander trennbar sind und geflüchtete Menschen auch mehrfach betroffen sein können z.B. eine traumatisierte, minderjährige Person im Rollstuhl. Eine intersektionale Perspektive in die verschiedene besondere Bedarfe mit einbezogen werden, ist daher dringend von Nöten.
Auf EU-Ebene sind in der Aufnahmerichtlinie (AufnRL) (1) und der Verfahrensrichtlinie (VerfRL) (2) besondere Rechte für oben genannte Schutzbedarfe festgelegt. Sie beziehen sich zum einen auf die Pflichten bei der Aufnahme und Unterbringung (1), zum anderen geben sie Standards für das Asylverfahren vor (2).
Konzepte und Umsetzung
»Die Aufnahme- und Verfahrensrichtlinie haben in Deutschland direkte Gültigkeit in allen Bundesländern, die die darin verankerten Maßgaben nicht innerhalb der Umsetzungfrist (2015) in Landesrecht übertragen habe. Betroffene können sich auf darin festgelegte konkrete Rechte direkt berufen. Anstelle einer direkten Umsetzung in deutsches Recht wurde 2019 im Rahmen des sogenannten Geordnete Rückkehrer-Gesetz das Asylgesetz (AsylG) um die Maßnahme ergänzt, dass die Bundesländer in der Verantwortung sind, geeignete Maßnahmen bei der Unterbringung von Schutzsuchenden in Gemeinschaftsunterkünften (§53 Abs. 3 AsylG) zu treffen, um den Schutz von Frauen und schutzsuchenden Personen zu gewährleisten.«
Der Schutz von Geflüchteten mit besonderen Bedarfen ist somit mehrfach rechtlich geregelt. Dennoch gibt es, trotz der Umsetzungspflicht, sowohl auf Bundesebene als auch in Sachsen-Anhalt kein zielgruppenübergreifendes Konzept zur Identifizierung und Versorgung Geflüchteter Menschen mit besonderen Schutzbedarfen. Zur Erkennung und Deckung der spezifischen Bedarfe von Geflüchteten mit besonderen Schutzbedarfen ist ein solches Konzept und dessen Umsetzung aber dringend erforderlich.
Leifaden für die Erkennung besonderer Schutzbedarfe von geflüchteten Menschen (Projekt BeSafe)
Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.) hat eine Toolbox und ein Policy Paper zur Implementierung bedarfs- und standortgeeigneter Identifizierungsmaßnahmen herausgegeben (März 2023). Nähere Informationen gibt es in dem unten stehendem Info-Kasten.
Informationen zum Thema Besondere Schutzbedarfe
Aktuelle Meldungen zum Thema besondere Schutzbedarfe
[Schulung] für Sprachmittelnde: Asylverfahren und besondere Schutzbedarfe
[Handreichung] EuGH-Urteil zum GFK-Schutz für alle afghanischen Frauen – Deutsch und Dari
Die unsichtbare Last: Leben mit Heimwehkrankheiten
Zwischen Hoffnung und Gefahr: Die Bedrohungen für geflüchtete Frauen auf der Fluchtroute
[Schulung] für Sprachmittelnde: Asylverfahren und besondere Schutzbedarfe
Die gesammelten Informationen wurden durch das Projekt SENSA aufbereitet und zur Verfügung gestellt. Das Projekt wird finanziert von der Europäischen Union (AMIF), kofinanziert vom Land Sachsen-Anhalt, dem Freistaat Thüringen und der UNO Flüchtlingshilfe.
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