Zwischen Hoffnung und Gefahr: Die Bedrohungen für geflüchtete Frauen auf der Fluchtroute
Weltweit sind Millionen Frauen auf der Flucht vor Konflikten, Armut, Verfolgung und geschlechtsspezifischer Gewalt. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR waren 2023 etwa 108 Millionen Menschen auf der Flucht – ein Rekordhoch. Schätzungen zufolge sind etwa 50% dieser Menschen Frauen und Mädchen. Besonders alarmierend ist, dass viele dieser Frauen während ihrer Flucht spezifischen Gefahren ausgesetzt sind und in den letzten Jahren tausende Frauen ihr Leben verloren haben. Dieser Artikel beleuchtet die Fluchtgründe von Frauen, die Risiken, denen sie auf der Fluchtroute begegnen, und diskutiert, welche Maßnahmen die deutsche Asylpolitik ergreifen könnte, um den Schutz geflüchteter Frauen zu gewährleisten.
1. Fluchtgründe von Frauen
Frauen flüchten oft aus anderen Gründen als Männer. Während viele Menschen auf der Flucht vor Krieg, Hunger und politischer Verfolgung sind, sehen sich Frauen zusätzlich spezifischen geschlechtsspezifischen Bedrohungen ausgesetzt, die ihre Flucht dringend machen:
- Geschlechtsspezifische Gewalt: Viele Frauen fliehen vor Gewalt in ihren Heimatländern, wie zum Beispiel häuslicher Gewalt, Zwangsheirat oder sogenannten "Ehrenmorden". UN Women berichtet, dass eine von drei Frauen weltweit Gewalt erlebt hat, und in Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan und der Demokratischen Republik Kongo ist geschlechtsspezifische Gewalt weit verbreitet.
- Bewaffnete Konflikte: Frauen fliehen auch vor den direkten Auswirkungen von Konflikten und Bürgerkriegen. In Ländern wie Syrien, der Ukraine und im Jemen verlieren Frauen oft ihre Familienangehörigen und sind gezwungen, alleine oder mit ihren Kindern in ein sicheres Gebiet zu flüchten.
- Diskriminierung und Verfolgung: In bestimmten Ländern werden Frauen aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert oder verfolgt, insbesondere wenn sie gegen traditionelle Rollenbilder verstoßen oder zur LGBTQI+-Gemeinschaft gehören.
- Armut und wirtschaftliche Notlagen: Extreme Armut und der Mangel an wirtschaftlichen Chancen sind ebenfalls häufige Fluchtgründe. Besonders in ländlichen Gebieten und in von Klimawandel betroffenen Regionen sehen Frauen keine Perspektive, ihr Leben vor Ort sicher und selbstbestimmt zu gestalten.
2. Gefährliche Fluchtrouten und die Sterberate geflüchteter Frauen
Frauen sind auf der Fluchtroute besonders gefährdet, und viele bezahlen ihre Flucht mit dem Leben. Laut Berichten der Internationalen Organisation für Migration (IOM) starben zwischen 2014 und 2023 schätzungsweise 52.000 Menschen weltweit auf der Flucht. Die Mittelmeerroute gehört dabei zu den tödlichsten – allein hier starben im Jahr 2022 mehr als 3.000 Menschen, darunter ein hoher Anteil Frauen und Kinder.
Studien zeigen, dass geflüchtete Frauen auf Fluchtrouten, vor allem in Afrika und auf dem Weg nach Europa, überproportional gefährdet sind. Die genauen Zahlen sind oft schwer festzustellen, doch Schätzungen des IRC gehen davon aus, dass etwa 1 von 5 Frauen auf der Flucht körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebt hat, was das Risiko für körperliche und psychische Gesundheitsschäden deutlich erhöht.
3. Sexualisierte Gewalt und sexuelle Ausbeutung
Statistiken und Beispiele
Sexualisierte Gewalt gehört zu den häufigsten Gefahren für geflüchtete Frauen. Laut UNHCR berichten mehr als 50% der Frauen, die auf der Flucht sind, von mindestens einem Fall von sexualisierter Gewalt. Die Täter sind häufig Schleuser, Mitreisende oder sogar Ordnungskräfte, die die verletzliche Situation der Frauen ausnutzen.
Beispiel: Im Jahr 2017 wurde ein Skandal in libyschen Flüchtlingslagern publik, als Frauen aus Nigeria und anderen afrikanischen Ländern von Schleusern zur Prostitution gezwungen wurden. Diese Frauen hatten sich auf den Weg nach Europa gemacht und wurden in Libyen festgehalten und systematisch missbraucht. Human Rights Watch dokumentierte zahlreiche solcher Fälle, die das Ausmaß der Bedrohung entlang der Fluchtrouten verdeutlichen.
4. Menschenhandel und Zwangsarbeit
Statistiken und Beispiele
Frauen auf der Flucht werden häufig Opfer von Menschenhandel. Das US-Außenministerium schätzt, dass etwa 71% der weltweit Opfer von Menschenhandel Frauen und Mädchen sind, und viele davon sind geflüchtete Frauen. Schleusernetzwerke entlang der Mittelmeerroute zwingen viele Frauen in die Zwangsprostitution.
Beispiel: In einem Bericht der IOM aus dem Jahr 2018 wird beschrieben, dass etwa 80% der nigerianischen Frauen, die in Italien ankommen, Opfer von Menschenhandel sind. Diese Frauen werden oft zur Prostitution gezwungen, um ihre Schulden gegenüber den Schleusern abzubezahlen, die ihre gefährliche Überfahrt ermöglicht haben.
5. Der Einfluss der GEAS-Politik der EU auf die Sicherheit geflüchteter Frauen
Die Gemeinsame Europäische Asylpolitik (GEAS), die auf eine Reform der Asylverfahren und eine Begrenzung der Migrationszahlen abzielt, hat weitreichende Auswirkungen auf geflüchtete Frauen und verschärft die Risiken, denen sie auf der Flucht ausgesetzt sind. Anstatt Schutz zu bieten, trägt GEAS durch die Verschärfung der Asyl- und Grenzregelungen oft dazu bei, dass Fluchtwege gefährlicher und teurer werden – mit besonders dramatischen Folgen für Frauen und Kinder.
Abschottung und gefährlichere Fluchtwege
- Grenzschutz und Zäune: Durch den verstärkten Einsatz von Grenzzäunen und anderen Abwehrmaßnahmen an den EU-Außengrenzen wird Frauen auf der Flucht oft der Zugang zu sicheren Wegen verweigert. Um diese Abschottung zu umgehen, sind Frauen gezwungen, riskantere Routen zu wählen, die häufig unbewacht, aber extrem gefährlich sind. Schleusernetzwerke, die solche alternativen Routen kontrollieren, nutzen dies oft aus und setzen Frauen extremer Gefahr aus.
Kosten und Abhängigkeit von Schleusern
- Explodierende Kosten: Die verstärkten Grenzkontrollen und bürokratischen Hürden erhöhen die Fluchtkosten drastisch. Frauen und ihre Familien, die oft ohne finanzielle Mittel fliehen, sind dadurch noch stärker von Schleusern abhängig, die hohe Gebühren verlangen.
- Zunahme von Ausbeutung und Missbrauch: Aufgrund der hohen Kosten für die Flucht sehen sich Frauen zunehmend gezwungen, Schulden bei Schleusern aufzunehmen, was sie in eine prekäre Lage bringt und ihre Abhängigkeit erhöht. Frauen werden so häufiger in Zwangsprostitution und Menschenhandel gedrängt – ein Phänomen, das durch die Abschottungspolitik und die Verknappung sicherer Fluchtwege weiter verschärft wird.
Prekäre Bedingungen in Drittstaaten und Transitlagern
- Mangelnder Schutz in „sicheren“ Drittstaaten: Ein zentraler Bestandteil der GEAS-Politik ist die Rückführung von Geflüchteten in sogenannte „sichere Drittstaaten“. Frauen, die in diese Drittstaaten abgeschoben werden, sind dort oft nicht ausreichend geschützt und haben keinen Zugang zu rechtlichem Beistand, medizinischer Versorgung oder Unterkünften, die auf ihre Sicherheitsbedürfnisse zugeschnitten sind.
- Unsichere Bedingungen in Transitlagern: GEAS fördert die Einrichtung von Transitlagern an den Außengrenzen der EU, in denen geflüchtete Frauen oft monate- oder jahrelang in unsicheren und unhygienischen Bedingungen ausharren müssen. In diesen Lagern, die kaum Überwachung und Schutzmechanismen bieten, sind Frauen einem erhöhten Risiko von Gewalt und Missbrauch ausgesetzt.
6. Mögliche Maßnahmen der deutschen Asylpolitik zum Schutz geflüchteter Frauen
Die deutsche Asylpolitik kann gezielte Maßnahmen ergreifen, um geflüchtete Frauen zu schützen und die spezifischen Risiken, denen sie ausgesetzt sind, zu minimieren. Hier einige Vorschläge:
- Geschützte Unterkünfte für geflüchtete Frauen: Durch die Bereitstellung geschützter Unterkünfte für Frauen und Kinder in Flüchtlingslagern könnte Deutschland die Sicherheit für diese Gruppe deutlich erhöhen. Separate Frauenhäuser und Schutzräume bieten Rückzugsmöglichkeiten und verhindern Übergriffe.
- Zugang zu medizinischer Versorgung und psychologischer Betreuung: Geflüchtete Frauen benötigen speziell auf sie abgestimmte medizinische Versorgung und psychologische Unterstützung. Dies umfasst Angebote für Schwangerschaftsvorsorge, gynäkologische Versorgung und Traumatherapie für Gewaltopfer.
- Schutz vor Menschenhandel und Ausbeutung: Spezielle Programme zum Schutz vor Menschenhandel könnten eingerichtet werden, um geflüchtete Frauen präventiv vor Missbrauch zu schützen und Opfern Unterstützung zu bieten.
Fazit
Die Zahlen und Berichte zeigen deutlich, dass geflüchtete Frauen auf ihrer Flucht besonderen Gefahren ausgesetzt sind und häufig unter unzureichendem Schutz leiden. Zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November wird erneut auf die Notwendigkeit hingewiesen, die spezifischen Bedrohungen für Frauen in Asyl- und Migrationsprozessen ernst zu nehmen.
Die EU-Asylpolitik, insbesondere durch die GEAS-Reformen, verschärft die Unsicherheiten und macht die Flucht für Frauen gefährlicher und teurer, was die Abhängigkeit von Schleusern und das Risiko von Gewalt erhöht. Statt Abschottung und repressiver Grenzpolitik sind dringend geschlechtersensible Lösungen notwendig, die Fluchtwege sicherer machen und geschlechtsspezifische Fluchtgründe berücksichtigen.
Deutschland könnte hierbei eine Vorreiterrolle einnehmen, indem es den Zugang zu geschütztem Asyl, medizinischer Versorgung und psychosozialer Unterstützung für Frauen stärkt und sicherstellt, dass Schutzräume und Integrationsprogramme speziell auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten sind.
Letztlich sollte das Ziel darin bestehen, Frauen auf der Flucht nicht nur Schutz zu bieten, sondern auch ihre Würde und Rechte zu achten – ein notwendiger Schritt in Richtung einer gerechten und humanen Asylpolitik. Der Kampf gegen Gewalt an Frauen endet nicht an den Grenzen Europas, sondern beginnt mit der Anerkennung ihrer spezifischen Bedürfnisse und der Verantwortung, sie zu schützen.