[Offener Brief] an die IMK: Keine Abschiebungen in den Folterstaat Iran, keine Abschiebungen von Genozid-Überlebenden in den Irak!

In einem von PRO ASYL und HÁWAR.help initiierten offenen Brief, unterzeichnet unter anderem von den Flüchtlingsräten, dem Paritätischen Gesamtverband, der AWO und der Neuen Richtervereinigung, fordern die Organisationen von den Innenminister:innen und von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, Menschen aus dem Iran, die dem brutalen Regime entfliehen konnten, und Êzîd:innen, die den Genozid im Irak überlebten, in Deutschland zu schützen: Die anstehende Innenminister:innenkonferenz (IMK) muss einen Beschluss zu sofortigen Abschiebestopps in diese Länder fassen.

Nachfolgend dokumentieren wir den Offenen Brief:
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Die Angst stoppen: Keine Abschiebungen in den Folterstaat Iran,
keine Abschiebungen von Genozid-Überlebenden in den Irak!

Wir rufen die Innenminister:innen der Länder und Bund dazu auf, bei der Innenministerkonferenz im Juni Abschiebestopps für den Iran und für alle êzîdischen Menschen aus dem Irak zu beschließen.

Nach wie vor hat der überwiegende Teil der Geflüchteten triftige und lebensbedrohliche Gründe, sein Herkunftsland zu verlassen – und auch nicht dorthin zurückkehren zu können. Das gilt besonders für Menschen aus dem Iran, die dem brutalen Regime entfliehen konnten, und für Êzîd:innen, die den Genozid im Irak überlebten. Angesichts der Proteste im Iran hat auch die Bundesregierung ihre Solidarität bekundet; der Bundestag hat den Genozid an den Êzîd:innen im Irak anerkannt. Dennoch gibt es für diese beiden Gruppen derzeit keinen Abschiebeschutz.

Unrechtsstaat Iran

Die Menschenrechtslage im Iran ist desaströs. Dennoch haben einzelne Bundesländer damit begonnen, Menschen in diesen Unrechtsstaat abzuschieben. Möglich ist das, weil es bei der letzten Innenminister:innenkonferenz im Dezember 2023 versäumt wurde, den bestehenden bundesweiten Abschiebestopp zu verlängern. Ob aber Menschen in ein Land abgeschoben werden dürfen, in denen ihnen Folter und Todesstrafe drohen, darf nicht einzelnen Bundesländern überlassen werden.

Willkürliche Verhaftungen, grausame Folter in den Gefängnissen und Hinrichtungen: Mit diesen Repressionen und Menschenrechtsverletzungen reagiert das iranische Regime auf die Proteste, die nach dem Tod von Jina Mahsa Amini begonnen haben. Todesurteile treffen unbekannte Personen, in denen das Regime eine Bedrohung sieht, ebenso wie exponierte Persönlichkeiten wie den bekannten politischen Rapper Toomaj Salehi.

Laut Amnesty International ist die Zahl der Hinrichtungen seit den Protesten massiv gestiegen und erreichte mit 853 Personen im Jahr 2023 den Höchststand seit 2015. Die Hinrichtungswelle setzt sich im Jahr 2024 fort, bis zum 20. März wurden mindestens 95 Hinrichtungen dokumentiert. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die tatsächlichen Zahlen in beiden Jahren noch höher liegen. Sogar im Exil werden Iraner:innen vom iranischen Staat beobachtet und bedroht: Der Bundesverfassungsschutz hat mehrmals in Deutschland lebende Iraner:innen vor Spionage durch
iranische Behörden gewarnt.

Dennoch werden die Asylanträge von Iraner:Innen in Deutschland vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu einem großen Teil abgelehnt: Im Jahr 2023 lag die Gesamtschutzquote von iranischen Asylsuchenden bei 45 Prozent. Die Schutzquote sank im ersten Quartal 2024 sogar auf 39 Prozent. Das BAMF gewährt somit noch nicht einmal jeder zweiten Person einen  Schutzstatus. Ende Februar 2024 lebten mehr als 8.700 ausreisepflichtige Iraner:innen, davon über 7.800 mit einer Duldung, in Deutschland (BT-Drucksache 20/11101, S. 80/81). Dieser Personenkreis protestiert auch in Deutschland gegen das Regime oder lebt zum Beispiel eine im Iran verfolgte Religion oder sexuelle Orientierung aus – ist also im Iran extrem gefährdet. Viele leben nun in ständiger Angst vor der Abschiebung.

Dazu kommt: Alle diese Entscheidungen über das Leben der schutzsuchenden Menschen aus dem Iran werden, soweit bekannt, auf der Grundlage eines Lageberichts vom Auswärtigen Amt vom November 2022 getroffen: Ein veralteter Bericht, in dem die Verschärfungen aus den Jahren 2023 und 2024 völlig fehlen. Deshalb: Ein neuer Lagebericht Iran ist nötig!

Êzîd:innen aus dem Irak

Anfang 2023 erkannte der Deutsche Bundestag die Verfolgung der Jesid:innen als Völkermord an. In dem Beschluss heißt es: „Die Diaspora ist Teil unserer Gesellschaft mit all ihren Erfahrungen und Erinnerungen. Der Deutsche Bundestag wird sich mit Nachdruck zum Schutz êzîdischen Lebens in Deutschland und ihrer Menschenrechte weltweit einsetzen.“ Trotzdem haben einzelne Bundesländer damit begonnen, êzîdische Männer, Frauen und Kinder in den Irak abzuschieben.

Abzuschieben in ein Land, in dem sie keine Zukunft haben. Spätestens seit dem Völkermord durch die Terrororganisation “Islamischer Staat” im Jahr 2014 ist das Sinjar-Gebiet im Nordirak, in dem die Êzîd:innen seit Jahrhunderten leben, zu einem lebensgefährlichen Brennpunkt geworden: Staatliche und nichtstaatliche Akteure kämpfen rücksichtslos um Macht und Einfluss – und die Êzîd:innen stehen mittendrin. 200.000 Êzîd:innen harren auch nach zehn Jahren noch immer in irakischen Flüchtlingslagern aus, ohne Aussicht, sie verlassen zu können. Viele von ihnen sind Folterüberlebende ohne jede psychische und physische Unterstützung. Auch eine realistische innerirakische Fluchtalternative, wie immer wieder propagiert, gibt es für die Mehrzahl der Êzîd:innen nicht. Eine êzîdische Familie könnte nicht in einen anderen Landesteil ziehen, dort wäre sie ohne die lebenswichtige Gemeinschaft und ohne Schutz.

Diese gefährliche und aussichtslose Lage zeigt auch das neue Gutachten von PRO ASYL und Wadi e.V. vom April 2024: „Zehn Jahre nach dem Völkermord: Zur Lage der Jesidinnen und Jesiden im Irak“.

In Deutschland existiert mit rund 250.000 Menschen die größte êzîdische Diaspora in Europa und nach dem Irak die zweitgrößte weltweit. Geschätzt sind derzeit 5.000 bis 10.000 irakische Êzîd:innen ausreisepflichtig und von Abschiebungen in den Irak bedroht – und weil einzelne Bundesländer tatsächlich begonnen haben, sogar ganze Familien abzuschieben, lebt die ganze Community in Angst. Doch: Menschen, die als Überlebende eines Völkermords anerkannt wurden, dürfen nicht in das Land des Völkermords abgeschoben werden. Deutschland muss den Êzîd:innen Sicherheit geben.

Es ist unverantwortlich, Menschen in Länder abzuschieben, in denen sie nicht sicher leben können, in denen ihnen Verfolgung bis hin zu Folter und Todesurteilen droht. Deshalb fordern wir sofortige Abschiebestopps: für Menschen aus dem Iran und für jesidische Männer, Frauen und Kinder aus dem Irak.

Unterzeichnende (alphabetisch):
Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im deutschen Anwaltverein
ARBEITSKREIS ASYL TRIBSEES
AWO Bundesverband
Bayerischer Flüchtlingsrat
Bundesfachverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge e.V.
Der Paritätische Gesamtverband
Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e.V.
Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen e.V.
Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz e.V.
Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Hessischer Flüchtlingsrat e.V.
Neue Richtervereinigung e.V.
Saarländischer Flüchtlingsrat e.V.
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
Stiftung gegen Rassismus
WADI e.V. Frankfurt und Suleymaniah
Zuflucht – Ökumenische Ausländerarbeit e.V.



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