[Redebeitrag] zur Aktionswoche „Gegen das Vergessen“ anlässlich der „Himmelfahrtskrawalle“

Anlässlich der sich jährenden Gewaltausschreitungen zu Himmelfahrt am 12.05.1994 in Magdeburg fand vom 06.05.2024-12.05.2024 eine Aktionswoche gegen das Vergessen statt.

Zur Kundgebung am 12.05. waren wir mit nachfolgendem Redebeitrag dabei.

Hallo,

ich spreche hier heute für den Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt. Der Flüchtlingsrat unterstützt geflüchtete Menschen durch Projektarbeit, die darauf abzielt, die Lebensbedingungen praktisch und auf der politischen Ebene grundlegend zu verbessern.

Die sogenannten „Himmelfahrtskrawalle“, über Stunden andauernde Hetzjagden auf migrantische Menschen mit schweren Körperverletzungen, bei denen die Polizei tatenlos zusah, bis sie schließlich die sich wehrenden Angegriffenen festnahm, trugen dazu bei oder waren sogar die Initialzündung für die Gründung des Flüchtlingsrats.

Heute arbeiten auch Menschen bei uns, die die massiv rassistische und offen gewalttätige Stimmung der 90er Jahre persönlich erlebt haben. Eine von ihnen hat diese Erfahrung in Worte gefasst.

Ich lese euch diesen Bericht vor:

Ich bin eine Frau.

Ich bin Schwarz.

Ich bin in Magdeburg aufgewachsen.

Wenn eine Schwarze Person in einer überwiegend weißen Umgebung aufwächst und lebt, gibt es immer spezielle Momente. In diesen Momenten kommt es oft dazu, dass sich die Person unwohl fühlt. Ich möchte euch von einigen dieser Momente und persönlichen Erfahrungen erzählen.

Als Kind war ich in unserem Stadtviertel sehr bekannt, da es nicht viele Schwarze Kinder in Magdeburg gab. Als ich fünf Jahre alt war, ging meine Mutter mit mir einkaufen. Das Geschäft war nur ein paar Schritte von unserem Zuhause entfernt. An sonnigen Tagen saßen vor dem Geschäft oft drei ältere Frauen auf einer Bank. Eine von ihnen hatte immer einen Dackel bei sich, den ich sehr mochte. Als ich an diesem Tag versuchte, den Dackel zu streicheln, sagte sie: „Guck, da kommt der schwartte Deibel.“ (Guck, da kommt der schwarze Teufel.) Ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht einordnen, was sie da gesagt hatte, aber ich wusste, es war falsch. Es löste Gefühle der Trauer und Enttäuschung in mir aus, ohne dass ich wusste, warum. Ich war fünf.

Ein weiteres Erlebnis war der erste Versuch, eine Fahrerlaubnis zu bekommen. Schon in der ersten Theoriestunde in der Fahrschule erwähnte der Fahrlehrer alle Worte, die ihm im Zusammenhang mit der Farbe Schwarz eingefallen sind. Ich möchte an dieser Stelle nicht alle wiederholen, aber ein Beispiel zum besseren Verständnis nennen: „Schwarzfahrer“. Er fand das sehr lustig. Ich wechselte die Fahrschule.

Bei Familienfeiern (auch bei denen von Freund:innen) oder bei öffentlichen Festen gab und gibt es lustig gemeinte, aber niemals wirklich lustige Sprüche. Es ist nicht lustig, zu fragen, warum eine Schwarze Person heute so blass ist. Das tut weh. Jedes einzelne Mal!

Es gab eine Zeit, da haben sich Menschen nicht getraut, ihre Sprüche laut zu sagen, da sie mit Gegenwind von Freunden und der Familie rechnen mussten. Das war eine kurze Zeit. Irgendwann fingen dann auch Andere an, sich an diesen Gesprächen zu beteiligen und so wurde es langsam normal, dass abwertend über Menschen gesprochen wurde. Es gab keine Instanz mehr, die es verurteilte, so zu sprechen. Heute vermeide ich es, auf Familienfeiern oder öffentliche Veranstaltungen zu gehen, da an jeder Ecke der offene Rassismus zu hören ist. Es werden rechte Parolen wiederholt, die sich in die Köpfe der Menschen eingeschlichen haben.

Die Diskursverschiebung ist deutlich zu spüren, denn auch in vermeintlichen Safe Spaces wird oft nicht mehr erkannt, dass rechte Narrative wiederholt werden, die Menschen verletzen und gefährlich werden können.

So werden BIPOC und speziell geflüchtete Personen als graue Masse wahrgenommen. Sie werden kategorisiert und eingruppiert. Die individuelle Geschichte hinter jeder Person scheint nicht mehr zu existieren.

Ich habe erlebt, wie in einer Diskussion, in der es um Antirassismus und Integration gehen sollte, von „dem Araber“ oder „dem Afrikaner“ und deren angeblichen Eigenschaften gesprochen wurde. Es wurde sich paternalistisch und von oben herab über Menschen geäußert, die in diesem Moment keine eigene Stimme am Tisch hatten.

An diesem Punkt müssen wir uns alle fragen, warum wir oft über Menschen reden und nicht mit ihnen.

Die abwertende Sichtweise auf nichtweiße Personen und sogenannte „politische Gegner:innen“ wird ausgelöst und verstärkt durch die Propaganda rechter Parteien und deren Mitläufer, die immer lauter und extremer werden. Ganz langsam fügen sich diese Bilder in die Sprache ein, um ganz unbemerkt „normal“ zu werden.

Wir alle müssen wieder aufmerksamer werden! Wir alle sollten an der Seite der Betroffenen stehen. Dabei ist es wichtig, sich selbst und die eigene Sprache zu hinterfragen. Welche Bilder nutze ich? Wie spreche ich über Menschen?

Bereits in den 1990er Jahren gab es eine Verrohung der Sprache. Menschen, die nicht in das eigene Weltbild passten, wurden zu den Anderen gemacht. Es gab ein WIR und ein DIE.

Dieser Ausschluss von Personen war nicht nur in der Sprache spürbar.

Ich habe diese Eskalation selbst erfahren müssen.

In meiner Jugend fingen Jugendliche, die ich bereits seit meiner frühesten Kindheit kannte, an, über mich zu sprechen. Sie warfen mir rassistische Sprüche an den Kopf, die mich sehr verletzt haben. Plötzlich war ich nur noch die Schwarze. Für mich war das völlig unverständlich, denn wir haben eben noch zusammen im Jugendklub unsere Zeit verbracht.

Im nächsten Schritt trugen viele von ihnen Springerstiefel und Bomberjacken. Manchmal saßen sie nächtelang vor unserer Haustür und riefen rechte Parolen. Ich habe oft geweint und hatte immer Angst, sie würden die Tür eintreten, denn ich wusste durch die Himmelfahrtskrawalle, an die wir heute erinnern, Rostock Lichtenhagen oder Hoyerswerda wie aus rassistischen Parolen Gewaltexzesse werden konnten.

Die Stimmung heizte sich immer weiter auf. Es blieb nicht mehr dabei, dass ich mit Worten angegriffen wurde. Ich wurde auf offener Straße bespuckt und geschlagen. Das löste eine tiefsitzende Angst in mir aus, die mich bis heute begleitet.

Ich sehe, dass die Entwicklung heute wieder in diese Richtung geht. Aktuell zeigen die Angriffe auf Politiker:innen, dass auf Worte noch immer Taten folgen.

Die erste Stellschraube, an der wir drehen können, ist unsere Sprache. Wir sollten es nicht zulassen, dass sich rechte Bilder in den Köpfen manifestieren. Das fängt damit an, dass wir selbst darauf achten, sie nicht zu reproduzieren.

Dankeschön.



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