[Pressemitteilung] Flüchtlingsrat und eXchange Salzwedel prangern brutale Abschiebepraxis im Landkreis Salzwedel an
Der Altmarkkreis Salzwedel hat in den vergangenen Wochen durch rabiate Methoden bei Abschiebungen auf sich aufmerksam gemacht. Mit Einsatz von Polizeigewalt wurde eine Person nachts aus seiner Unterkunft nach Griechenland, eine weitere Person direkt vom Termin in der Ausländerbehörde nach Rumänien abgeschoben. Beiden wurden elementare Rechte wie das Kontaktieren eines Rechtsbeistandes verwehrt und von Polizist*innen und Ausländerbehörden-Mitarbeiter*innen rassistisch diskriminiert.
Das eXchange Salzwedel und der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt kritisieren das Vorgehen des Landkreises scharf. Helen Deffner vom Flüchtlingsrat erklärt: »Die aktuellen Debatten um Abschiebungen und Asylrechtsverschärfungen scheinen die Verantwortlichen in der Ausländerbehörde Salzwedel gar nicht mehr zu brauchen. Die Abschiebungen wurden mit unnötiger Härte durchgeführt, auf die Gefahr potentieller Traumatisierung und den Rechtsschutz von Betroffenen wird kein Wert mehr gelegt. Wir verurteilen dieses Vorgehen der Behörden auf Schärfste!«
Geflüchtete werden von Behörden jahrelang in Angstzuständen gehalten, indem das Damoklesschwert der potentiellen Abschiebung konstant über ihnen hängt. M. aus Afghanistan hatte gerade seinen Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen und wollte sich im Handwerk eine Beschäftigung suchen; auch A. hatte konkrete Aussicht auf einen Ausbildungsplatz (siehe Seite 2). Beide Personen waren in Salzwedel integriert, hatten Freund*innen, Familie und Perspektive und wurden dennoch Opfer der Abschiebemaschinerie, die dem Behördenwahn nach höheren Abschiebezahlen geschuldet ist. »Der Landkreis Salzwedel hat die deutsche unmenschliche Abschiebepraxis in beiden Fällen verdeutlicht: M. und A. wurden Opfer von brutalen und unnötigen Entscheidungs- und Verhaltensweisen der Behörden und der Polizei. Die Abschiebung von A. direkt aus der Ausländerbehörde macht vielen Geflüchteten große Angst – diese Praxis kannten wir aus Salzwedel bisher nicht! Wir fordern gemeinsam mit den Angehörigen und Freund*innen, die Abschiebung von M. sofort zu stoppen und A. zurück nach Deutschland zu bringen,« so Hannes Jung vom eXchange Salzwedel.
Der Altmarkkreis Salzwedel muss menschenunwürdige Abschiebeversuche einstellen, die Polizeibehörden müssen dafür Sorge tragen, dass Würde und grundlegende Rechte für alle Menschen gelten. Rassistische Äußerungen bei Behördenmitarbeiter*innen und Polizist*innen sind inakzeptabel und rechtswidrig!
Pressekontakt: Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt, mail: info@fluechtlingsrat-lsa.de, tel. 015738303546
Fallbeispiele
Abschiebung eines afghanischen Mannes nach Griechenland
Polizeibeamte und eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde Salzwedel betreten unangekündigt um 4:30 Uhr das Zimmer von A., einem Mann aus Afghanistan, der bereits seit 2,5 Jahren in Deutschland lebt. Er hatte seinen Integrationskurs gerade abgeschlossen und wollte sich dann Arbeit als Handwerker suchen. A. hat eine Anwältin und befand sich noch im Hauptverfahren. Er hatte zudem gegen die Kürzungen seiner Asylbewerberleistungen geklagt.
Ihm wird mitgeteilt, dass sie ihn am selben Tag nach Griechenland abschieben werden. A. wird direkt sein Telefon abgenommen, er darf auch im weiteren Verlauf des Tages nicht telefonieren. Er versucht aus Verzweiflung, aus dem Fenster des 3. Stocks zu springen, wird aber daran gehindert. Die Polizei hat seinen afghanischen Pass und seine bereits abgelaufene griechische ID-Karte vorliegen. Er wird nach Berlin zum Flughafen gebracht und muss dort 2,5 Stunden warten. Er wird als erster ins Flugzeug gebracht und erhält lediglich seinen afghanischen Pass zurück. Die Polizei gibt ihm 30 Euro. In Athen angekommen kontrolliert ihn die Polizei und sucht seine griechische Fallnummer heraus, um ihm ein Papier auszustellen, mit dem er sich am Montag bei der dortigen Asylbehörde melden soll. Er erhält keinerlei Versorgung, Geld oder eine Unterkunft.
Deutschen Gerichtsentscheiden zufolge werden in Griechenland elementarste Bedürfnisse von Asylsuchenden nicht gedeckt, die Lebensbedingungen sind unmenschlich und unzumutbar.
Festnahme eines syrischen Mannes in der Ausländerbehörde Salzwedel
M. ist seit März 2020 in Deutschland, seinen Asylantrag stellte er am 07.03.2020. Am 17.06.2020 wird er als unzulässig abgelehnt, weil M. ausreisepflichtig nach Rumänien sei, wo er als „syrischer Flüchtling“ anerkannt sei. Für den damals 19-jährigen M. war die Zeit in Rumänien die schlimmste und hoffnungsloseste Zeit und von zahlreichen Gewalterfahrungen geprägt, die er bis jetzt nicht verarbeitet konnte. Die dortigen Lebensbedingungen für Geflüchtete sind unaushaltbar, ohne Chance auf Bildung, Arbeit oder ein persönliches Netzwerk. In Deutschland kann M. sich mit Unterstützung seines Bruders, der inzwischen deutscher Staatsbürger ist, ein neues Leben aufbauen: Von September 2021 bis Januar 2023 arbeitet M. in Hamburg. Er lernt Deutsch und möchte seinen B2-Sprachtest abschließen, wodurch er Aussicht auf einen Ausbildungsplatz hat. Im Januar 2023 wird ihm seine Arbeitserlaubnis entzogen und er erhält eine Duldung. M. wird deshalb arbeitslos, Arbeitsagentur und das Sozialamt schieben sichdie Zuständigkeit hin- und her.
Festnahme in der Ausländerbehörde
Am 25.06. muss M. zu einem Termin um 9:30 Uhr in der Ausländerbehörde Salzwedel, um seine Duldung für weitere 4 Wochen verlängern zu lassen. Im Büro seiner zuständigen Sachbearbeiterin wird M. von 6 Polizeibeamt*innen erwartet. Die Sachbearbeiterin fragt ihn, ob er schon Deutsch gelernt habe, woraufhin M. „ja“ erwidert. Die Mitarbeiterin antwortet, dass er ja dann in Rumänien deutsch reden könne oder „einfach nach Syrien zurückkehren“. M. ist Kriegsdienstverweigerer, eine solche Äußerung ist sowohl Provokation als rassistische Beleidigung. Zwei potentielle Arbeitsverträge, die M. zu diesem Termin mitbringt, werden von der Sachbearbeiterin entgegengenommen, doch sie schickt ihn weg und erklärt, er solle „einfah in Rumänien arbeiten“.
Gewaltvoller Abschiebeversuch
Er wird von den Polizist*innen durchsucht, seine Papiere und sein Handy werden beschlagnahmt. Auf dem Weg zum Polizeiauto erklärt M., dass er sein Handy brauche, um seinen Anwalt zu kontaktieren. Die Polizist*innen weigern sich. Auf dem Parkplatz der Ausländerbehörde muss er 5 Stunden im Polizeiauto verbringen. Die drei Polizist*innen, die ihn bewachen, äußern sich abfällig über ihn, versorgen ihn weder mit Essen noch Trinken.
Aus Salzwedel wird M. zum Hamburger Flughafen gebracht und der dortigen Polizei übergeben und für zwei Stunden allein in einen Raum geschlossen. Erst mehrere Stunden später gewähren ihm die Polizist*innen einen Anruf. M. kontaktiert seinen Bruder und teilt ihm mit, dass er mit einem Flieger in vierzig Minuten abgeschoben werden soll.
Bereits auf dem Rollfeld wird ihm bei jeder startenden Maschine von Polizist*innen beteuert, dass „er auch gleich dran sei“. An der Schleuse zum Flugzeug weigert sich M. weiterzugehen und einzusteigen. Vier Polizist*innen drücken ihn daraufhin zu Boden und fesseln ihn mit Handschellen. Sie werfen sich auf ihn, sein Rücken und seine Brust schmerzen und er hat Probleme, Luft zu holen. M. wird vom Rollfeld weggebracht und wieder in einem Raum am Flughafen eingeschlossen. Einige Stunden später wird M. entlassen. Er muss ein Papier unterzeichnen, das auf Arabisch beschreibt, dass er „Widerstand geleistet“ habe. Seine Duldung und seine Krankenversicherungskarte bekommt er nicht zurück.
Weitere Schikanen und Suizidversuch
Zwei Tage später will M.s Bruder die Krankenkassenkarte und das Duldungspapier in der Ausländerbehörde abholen. Beides sei nicht dort, die Sachbearbeiterin verweigert die Ausstellung einer neuen Duldung. M. verliert dadurch den Anspruch auf finanzielle Unterstützung. Am Vorabend vor seinem nächsten Termin zwei Tage später versucht M. aus Verzweiflung und großer Angst vor einem erneuten und diesmal endgültigen „Abschiebungsversuch“ in ein Land, wo es keinerlei Hoffnung für ihn gibt, sich zu suizidieren. Er ist mittlerweile in Behandlung.