[Statement] 30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen

30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen

Heute jährt sich der Beginn des mehrtätigen Pogroms in Rostock-Lichtenhagen zum 30. Mal. Für uns steht fest: Die rassistischen Kontinuitäten in diesem Land hängen untrennbar mit der deutschen Asylpolitik zusammen. Die „Fortschritte“ der letzten 30 Jahren sind kläglich.
Über mehrere Tage hinweg attackierten damals Neonazis und andere Rassisten angefeuert von Tausenden Schaulustigen das „Sonnenblumenhaus“ im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen, warfen Molotow-Cocktails in das vor allem von vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen bewohnte Gebäude, kletterten später an der Außenfassade auf Balkone, wollten Menschen jagen. Lynchen. Ermorden. Nur durch ein Wunder und das kluge Handeln der Betroffenen kam niemand dabei ums Leben.
Die Polizei wurde erst aktiv, als Antifaschist*innen aus dem ganzen Bundesgebiet anreisten, um sich dem Lynch-Mob in den Weg zu stellen.
Berühmt sind die Bilder von den Festnahmen antifaschistischer Demonstrationsteilnehmer*innen durch die Polizei, die Tage zuvor fast tatenlos – „Überforderung“ wäre angesichts des Ermöglichens ein unerträglicher Euphemismus – alles geschehen ließ.
In der Spitze versammelten sich auf der Wiese vor dem „Sonnenblumenhaus“ 2.500 – 3.000 Deutsche, besorgten sich Bier, wurden von der Imbiss-Bude „Happi, Happi bei Api“ mit Bockwurst und Toast versorgt – Ein Pogrom als Volksfest. Es bleiben unfassbare Bilder und jede*r, der*die sie nicht kennt oder noch nie davon gehört hat, sollte sich eine der vielen Dokumentationen dazu anschauen. Es lässt einem auch noch dreißig Jahre danach das Blut in den Adern gefrieren.
Rostock-Lichtenhagen wie auch Hoyerswerda im Jahr zuvor, im September 1991, erzeugten Bilder, die um die Welt gingen. Da war er wieder, der „hässliche Deutsche“. Die beiden Ortsnamen stehen für den Auftakt zu einer regelrechten und über Jahre hinweg von statten gehenden Serie an pogromähnlichen Ausschreitungen, Attacken und Mordtaten, von denen in den allermeisten Fällen geflüchtete Menschen betroffen waren.
Auch in Sachsen-Anhalt versammelten sich Mobs aus Nazis und „normalen Bürger*innen“ vor Asylunterkünften und wollten zündeln. Gründungsmitlieder aus unserem Verein standen damals auf der anderen Seite und stellten sich dem Hass-Mob in den Weg, ob in Quedlinburg, Magdeburg oder anderswo. Was für viele andere zivilgesellschaftliche Akteur*innen in Sachsen-Anhalt gilt, gilt auch für uns. In dieser Zeit ist der Flüchtlingsrat entstanden. Auch und vor allem vor dem Hintergrund von Rostock-Lichtenhagen, der Himmelfahrtskrawalle in Magdeburg und den unzähligen Nazi-Morden in diesem Bundesland.
Mit Blick auf die Situation der Gegenwart, mit Blick auf die nach wie vor vielen täglichen Angriffe auf Geflüchtete, auf Halle, auf Hanau, stellen wir fest: Die rassistischen Kontinuitäten in diesem Land sind ungebrochen.
Das war und ist weiterhin auch möglich, weil die herrschende Politik im Schein des Feuers des brennenden Sonnenblumenhauses faktisch die politischen Forderungen des rassistischen Mobs erfüllte. Weniger als ein Jahr wurde das im Artikel 16 Grundgesetz verbriefte Grundrecht auf Asyl, eine historische Lehre aus dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg, so sehr eingeschränkt, dass diese Einschränkung einer faktischen Abschaffung gleichkam. Diese gilt bis heute. Diese wirkt bis heute.
Täter von damals war das die denkbar größte Belohnung. Die Erfahrung, mit exzessivster rassistischer Gewalt Erfolg zu haben und konkrete politische Forderungen erfüllt zu bekommen, hat eine ganze Generation an Neonazis beflügelt und bestärkt. Nicht ohne Grund konnten Strukturen in dieser Zeit florieren, sich rechte Subkulturen wie die braune Pest ausbreiten und Terror-Netzwerke wie das das des NSU ungehindert ihre späteren Taten planen.
Das Problem bleibt Rassismus. Rassismus lässt sich nicht durch die Abwesenheit der Rassismus-Betroffenen verkleinern. Dieser Irrglaube, dem viele politische Akteur*innen seit Jahrzehnten anhängen, hat in vielen Fällen seines zur ungebrochenen rassistischen Gewalt beigetragen.
Was im Gegenteil hilft, ist eine Politik, die Ressentiments abbaut, statt sie zu schüren. Was hilft, ist klare Kante Rassismus, Antiromaismus, Antisemitismus und jede andere Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, klare Kante gegen rassistische Kampagnen, wie sie damals von vielen großen deutschen Zeitungen angeheizt worden sind.
Wir schließen uns diesen Forderungen an:
1. Isolierende Massenunterkünfte für Schutzsuchende, die als Zielscheibe für rechten Terror und Verfestigung von Vorurteilen dienen, müssen aufgelöst werden. Es braucht eine schnelle Verteilung in die Kommunen und Integration von Anfang an.
2. Das Beispiel Ukraine zeigt, was in der Asylpolitik möglich ist, wenn der politische Wille zum Handeln da ist. Es zeigt aber auch die massive Ungleichbehandlung von ukrainischen Geflüchteten und Geflüchteten aus Drittstaaten. Wir fordern die Gleichstellung aller Geflüchteten.
3. Gewalt gegen Geflüchtete wird in der offiziellen Statistik immer noch nicht angemessen abgebildet. Es fehlt bei der Polizei an Sensibilität, Aufmerksamkeit und Ressourcen, diese Straftaten zu verfolgen. Hier braucht es eine vollständige und transparente offizielle Zählung.
4. „Seit Jahren fordern wir, dass Menschen, die Opfer von rassistischer Gewalt wurden, ein Bleiberecht erhalten. Nur so kann sichergestellt werden, dass sie vor Gericht aussagen und die Täter*innen verfolgt werden können.“
Ganz zum Schluss noch der absolut wichtige Hinweis auf die große Gedenkdemonstration am kommenden Samstag: https://gedenken-lichtenhagen.de
Anreise aus Magdeburg: Zugtreffpunkt 7:50 Uhr Hauptbahnhof


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