[Info] EuGH-Generalanwalt erklärt deutsches Gesetz zur Abschiebehaft für EU-rechtswidrig
Sachsen-Anhalt muss rechtswidrige Praxis beenden
Das deutsche Gesetz zur Unterbringung in Abschiebehaft verstößt nach Einschätzung des Generalanwalts Jean Richard de la Tour am Europäischen Gerichtshof gegen EU-Recht.
In Sachsen-Anhalt ist per Erlass geregelt, dass Abschiebehaft in regulären Justizvollzugsanstalten (JVA) des Landes erfolgt. Sachsen-Anhalt ist damit das einzige Bundesland, das von der Bundesregelung in so deutlicher Form Gebrauch macht. Der Generalanwalt De La Tour legt in seinem Ergebnis dar, dass diese Umsetzung EU-rechtswidrig ist. Es besteht keine Notlage, weshalb die Bundesregelung EU-Recht missachtet und somit rechtswidrig ist.
Die Bundesländer entscheiden, wie sie Abschiebehaft umsetzten und inwiefern sie von dieser im Bundesgesetz mit einer Notlage begründeten Unterbringungsmöglichkeit in JVA Gebrauch machen. Laut dem EuGH-Gutachter entspricht die Unterbringungen in der Abteilung Abschiebungshaft in der JVA in Langenhagen in Niedersachsen nicht den Kriterien einer „speziellen Hafteinrichtung“. Die Unterbringung in den JVA in Sachsen-Anhalt von in Abschiebehaft Genommenen erfolgt in den auch für Untersuchungshaft vorgesehenen Zellen. Hier kann demnach noch weniger von einer „speziellen Hafteinrichtung“ gesprochen werden.
Der Gutachter kommt zu folgendem
„V. Ergebnis
130. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Amtsgerichts Hannover (Deutschland) wie folgt zu beantworten:
1. Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für die Dauer von drei Jahren die Inhaftierung von abzuschiebenden Drittstaatsangehörigen in gewöhnlichen Haftanstalten erlaubt, wenn weder die Gründe, auf denen diese Regelung beruht, noch die Voraussetzungen für ihren Erlass und ihre Anwendungsmodalitäten eine Notlage im Sinne dieses Artikels erkennen lassen.
2. Art. 18 der Richtlinie 2008/115 ist dahin auszulegen, dass die für die Inhaftnahme zuständige Justizbehörde in jedem Einzelfall prüfen muss, ob die in Art. 18 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Umstände, die den Erlass außergewöhnlicher Maßnahmen gerechtfertigt haben, noch vorliegen.
3. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115 ist dahin auszulegen, dass eine „spezielle Hafteinrichtung“ eine Anstalt zur Vorbereitung der Abschiebung von Drittstaatsangehörigen ist, in der die Vollstreckung der Haft nach einer freiheitsentziehenden Regelung und unter materiellen Bedingungen erfolgt, die an den rechtlichen Status und die Schutzbedürftigkeit dieser Drittstaatsangehörigen angepasst sind.
4. Eine Einrichtung, die sowohl für die Vollstreckung von Maßnahmen der Inhaftierung von abzuschiebenden Drittstaatsangehörigen als auch für die Vollstreckung von Freiheitsstrafen genutzt werden kann und in der die Haft nach den Rechtsvorschriften über die Vollstreckung von Strafen und unter der Aufsicht des Strafvollzugspersonals dieser Einrichtung vollzogen wird, fällt nicht unter den Begriff „spezielle Hafteinrichtung“.“
Weitere Meldungen dazu:
https://www.deutschlandfunk.de/deutsches-gesetz-zu-abschiebehaft-ist-rechtswidrig-100.html [25.11.2021]
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-11/abschiebehaft-deutschland-eugh-rechtsverstoss [25.11.2021]
https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?cmsuri=/juris/de/nachrichten/zeigenachricht.jsp&feed=juna&wt_mc=rss.juna&nid=jnachr-JUNA211104024 [25.11.2021]