[Pressemitteilung] Afghanistan: Konsequente Luftbrücke jetzt! Schafft sichere Fluchtwege

Pressemitteilung
18.08.2021

Afghanistan: Konsequente Luftbrücke jetzt! Schafft sichere Fluchtwege!

Mit Entsetzen verfolgen wir die sich überschlagenden Ereignisse in Afghanistan und die Machtübernahme der Taliban.

Die Taliban haben die Macht übernommen und zehntausende Menschen, die sich für ein friedliches, demokratisches und rechtsstaatliches Afghanistan eingesetzt haben, sind in akuter Lebensgefahr. Viele sind aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit deutschen Einrichtungen und Organisationen massiv gefährdet. Kabul kann nicht mehr auf dem Landweg verlassen werden – es braucht jetzt eine Luftbrücke, eine Aufnahmeaktion über die ersten Evakuierungen hinaus. Die Bundesregierung handelt bisher zu spät und zu wenig.

Als Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt stehen wir solidarisch an der Seite all der Menschen in Afghanistan, die nun um ihr Leben fürchten müssen. In besonderer Gefahr sind unter anderem Ortskräfte der Bundeswehr und der zivilen deutschen Ministerien und Organisationen ebenso wie Mitarbeiter:innen von internationalen Organisationen, Journalist:innen und Frauenrechtler:innen. Menschen in Afghanistan, mit denen die Flüchtlingsräte in Kontakt stehen, sind in großer Sorge.

Firoza aus Mazar-e-Sharif:

„Wir sind aus Mazar-e-Sharif geflohen, um das Leben meiner beiden Kinder zu retten, und nach Kabul gekommen, in der Hoffnung, dass es hier sicher sein könnte. Aber jetzt ist auch diese Stadt unter der Kontrolle der Taliban. Vor Angst und Sorge kann ich nicht schlafen. Es ist ein Albtraum für mich, wieder unter dem Taliban-Regime zu leben. Ich habe keine Angst vor dem Tod, denn in der Taliban-Regierung erwartet die Frauen etwas Schlimmeres als der Tod, nämlich die Ermordung von Freiheit und Frauenrechten.”

Was besonders erschütternd ist: Dass die Taliban nach dem Abzug der internationalen Truppen Afghanistan erobern würden, war vorhersehbar. Geflüchtete Afghan:innen, Afghanistanexpert:innen und Menschenrechtsorganisationen haben immer wieder über die Strategien der Taliban berichtet. Selbst die deutsche Botschaft in Kabul hatte das Auswärtige Amt offenbar wochenlang vergeblich auf die drohende Lebensgefährdung ihrerMitarbeiter:innen hingewiesen. Doch noch Ende Juni 2021 haben die Regierungsfraktionen im Bundestag einen Antrag der Grünen zur Evakuierung der Ortskräfte abgelehnt – aus Prinzip, wie mittlerweile eingeräumt wird.

Stattdessen hat die Bundesregierung bis vor wenigen Tagen sogar noch weitere Abschiebungen nach Afghanistan durchdrücken wollen. In einem Schreiben vom 5. August 2021 drängte die Bundesregierung gemeinsam mit anderen EU-Staaten die EU-Kommission, Druck auf die afghanische Regierung auszuüben, damit diese weiter Abschiebungen ermögliche. Wenige Tage später hatte sich die afghanische Regierung unter dem Vormarsch der Taliban aufgelöst. Auch Sachsen-Anhalt hat sich noch im Juni 2021 erneut an einer Sammelabschiebung nach Afghanistan beteiligt.

Jetzt herrscht Chaos in Afghanistan, Menschen versuchen verzweifelt, das Land zu verlassen.

Sami aus Kabul:

„ Ich kann immer noch nicht glauben, dass die Taliban Kabul so schnell erobert und ihre Herrschaft erklärt haben. Panik hat Kabul überschattet. Heute sah ich einen Mann, der sich an ein Flugzeug klammerte und herunterfiel, weil er den Tod dem Leben unter der Herrschaft der Taliban vorzog. Das ist der ultimative Ausdruck von Hilflosigkeit und Misere.“

Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt fordert:

Luftbrücke jetzt: Die Bundesregierung muss alle Ortskräfte und ihrer Familien sofort evakuieren. Darüber hinaus muss die Bundesregierung auch für Frauenrechtler:innen, Menschenrechtsaktivist:innen, Anwält:innen, Mitarbeiter:innen internationaler Organistation, Journalist:innen und alle anderen besonders gefährdeten Personen eine schnelle Aufnahme in Deutschland gewährleisten. Bürokratische Hürden darf es bei diesen Rettungsmaßnahmen nicht geben. Auf Visaverfahren muss in dieser dramatischen Notlage verzichtet werden.

Aufnahmeprogramme: Es müssen sichere Fluchtwege für afghanische Schutzsuchende geschaffen werden. Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt muss nicht nur selbst ein entsprechendes Aufnahmeprogramm auflegen, sondern sich auch gegenüber der Bundesregierung dafür einsetzen, dass flexible Aufnahmeprogramme und Schutzkontingente für afghanische Schutzsuchende eingerichtet werden.

Bleiberecht: Bund und Länder, BAMF und Ausländerbehörden müssen jetzt ein Bleiberecht für diejenigen afghanischen Geflüchteten schaffen, die bereits in Deutschland sind. Bei tausenden bereits in Deutschland lebenden Schutzsuchenden aus Afghanistan hat das BAMF die Asylanträge abgelehnt – obwohl Afghanistan das gefährlichste Land der Welt ist. Mit der Machtübernahme durch die Taliban gilt dies umso mehr. Alle Schutzsuchenden aus Afghanistan brauchen jetzt ein Bleiberecht. Das BAMF muss die Asylanträge von Schutzsuchenden aus Afghanistan entsprechend der aktuellen Situation positiv bescheiden.

Arbeitsverbote und andere Sanktionen aufheben: Das Innenministerium Sachsen-Anhalts muss die Ausländerbehörden verpflichten, Arbeitsverbote und andere Sanktionen gegenüber afghanischen Staatsangehörigen – etwa wegen fehlender Mitwirkung bei der Passbeschaffung – vollständig aufzuheben. Da Abschiebungen nach Afghanistan faktisch unmöglich sind, darf Afghan:innen nicht mehr vorgeworfen werden, dass ihr (vermeintliches) (Fehl)Verhalten dafür ursächlich sei, dass sie nicht abgeschoben werden können.

 

 

Pressekontakt:

Helen Deffner | helen.deffner@fluechtlingsrat-lsa.de | mobil: 015738303546

Medienberichte

Afghanistan: Schwierige Rettungsaktion, verzweifelte Menschen, in: Hallo Niedersachsen vom 16. August 2021

„Wir sind entsetzt“: Scharfe Kritik aus Niedersachsen an Evakuierungen aus Afghanistan, in: HAZ vom 16. August 2021

Deutsche Botschaft warnte offenbar vergeblich vor möglicher Gefährdung des Personals (Deutschlandfunk, 16. August 2021)

Hintergrund

Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt! (Beitrag vom 12. August 2021)

Keine Abschiebungen nach Afghanistan!, Gemeinsamer Aufruf vom 10. August 2021

Jetzt dem Notruf der afghanischen Regierung folgen – Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt fordert landeseigenen Afghanistan-Abschiebungsstopp, Pressemitteilung vom 29. Juli 2021

 

 



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