[Offener Brief] Gutachten zu Gutscheinen als Sanktionsinstrument im AsylbLG

19.01.2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir möchten Sie mit diesem Brief auf das von uns zum Jahresende publizierte Gutachten von Dr. Simone Emmert (Vertretungsprofessur zu Recht in der Sozialen Arbeit in Magdeburg) und Rechtsanwalt und Diplomjurist Oliver Wolf zur Thematik der Gutscheinsysteme aufmerksam machen.

Sowohl im Salzlandkreis als auch im Saalekreis werden von Ausländerbehörden und Sozialämtern seit einigen Jahren erneut Gutscheine genutzt, um die Nicht-Erfüllung sog. Mitwirkungspflichten von Ausländer*innen im aufenthalts- und asylrechtlichen Verfahren zu sanktionieren. Gemäß §1 Abs. 1 Nr. 7 AllgZustVO-Kom 27 sind die Landkreise und kreisfreien Städte u.a. zuständig für die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz, soweit nicht Leistungen unmittelbar durch das Land gewährt werden. Für die Problematik der Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG, und damit insbesondere für den Sanktionierungsmechanismus der Leistungskürzung durch die Ausgabe von Wertgutscheinen, besteht mithin die Verbandskompetenz der Kommunen (Gemeinden, Verbandsgemeinden und Landkreise) als Träger der mittelbaren Landesverwaltung. Ob die Durchführung des bzw. die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG die Gutscheinvergabe mit einschließt, lässt die Vorschrift jedoch offen.

Die Landkreise berufen sich hinsichtlich der Einführung der Wertgutscheinpraxis stets auf den maßgeblichen MIS-Bezugserlass zum AsylbLG vom 31.7.2017 bzgl. der Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 2-5 AsylbLG , der jedoch im Hinblick auf die Wahl der Auszahlungsmodalität richtigerweise nur zwischen Sach- und Geldleistungen differenziert, da Wertgutscheine als dritte Leistungsgewährungsart nicht von der Anspruchseinschränkung des § 1a AsylbLG umfasst ist. Der zitierte Ministerialerlass stellt mithin keine Rechtsgrundlage für ein solchermaßen abweichendes Behördenhandeln dar. Auch sonst ist keine diesbezügliche Erlasslage ersichtlich (siehe S. 28 des Gutachtens).

Die Ausgabe von Wertgutscheinen als Sanktionsinstrument ist somit landesrechtlich nicht vorgesehen, da weder auf Landes- noch kommunaler Ebene eine entsprechende gesetzliche Grundlage besteht.

Die Regelungen zur Anspruchseinschränkung stellen keine gesetzliche Rechtsgrundlage für die bloße Ausgabe von (Wert-)Gutscheinen dar.

Da die Praxis der (Lebensmittel-)Gutscheinvergabe als Leistungsgewährung qua Wertgutschein und eben nicht als Sachleistung aufzufassen ist, wäre dies als Sanktionsmaßnahme nur in sehr engen Grenzen und als Ausnahmefall nur mit entsprechender Begründung möglich: einerseits als eine vom gesetzlichen Regelfall des intendierten Ermessens erheblich abweichende Fallgestaltung, andererseits als alternative Leistungsform zur gesetzlich für den Fall der Anspruchseinschränkung vorgeschriebenen Sachleistung nach § 3 Abs. 3 S. 2 AsylbLG.

Für den Eintritt der Rechtsfolge der Leistungskürzung wäre mithin ein feststellender Verwaltungsakt i. S. d. §§ 35, 37, 39, 41, 43 VwVfG über das Vorliegen einer Anspruchseinschränkung, sowie eine Befristung nach § 14 AsylbLG zwingend erforderlich. Beide Voraussetzungen sind jedoch mit der überwiegenden Gutscheinausgabe in den betreffenden Landkreisen – entweder sofort mit Beginn der Leistungsgewährung, oder während des laufenden Leistungsbezugszeitraums – ohne Verbescheidung und/oder Befristung nicht erfüllt, so dass die gängige Praxis verwaltungsrechtlichen Vorgaben nicht entspricht, mithin als nicht rechtmäßig, und somit als nicht verfassungskonform, zu bewerten sind.

Wir ziehen daher gemeinsam mit den Autor*innen des Gutachtens das Fazit, dass das Sachleistungsprinzip und darüber hinaus die in den Landkreisen gängige Praxis der Wertgutscheine die Freiheit und Lebensqualität der Menschen erheblich einschränkt, als mehrere Grundrechtseingriffe mit sich zieht und sowohl formell als auch materiell rechtswidrig ist (siehe S. 33 f.).

Wir bitten daher darum, die gängige Praxis entsprechend zu adaptieren und die Vergabe von Gutscheinen zu unterlassen.

Mit freundlichen Grüßen

Robert Fietzke
Vorstandsvorsitzender des Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.



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