Aktuelle Informationen aus Rechtssprechung, BAMF-Praxis u.a. in Verbindung mit Corona

  • VG Meiningen zu Afghanistan
  • Infos zu Herkunftsländern und coronabedingten Auswirkungen
  • VG Braunschweig zu Schutzberechtigten in Italien
  • VG Cottbus zur Duldung Light (§ 60b AufenthG)
  • LSG Schleswig-Holstein zu Leistungskürzungen nach §1a AsylbLG
  • Erste Widerrufe der ausgesetzten Dublin-Abschiebungsanordnungen
  • Neuer Bericht zu Bulgarien
  • Neue Verordnung zu abgelaufenen Schengen-Visa

 

VG Meiningen: vom 11.5.2020 (8 K 22180/17 Me) und vom 30.4.2020 (8 K 21866/17 Me): Abschiebeverbot für jungen, gesunden, alleinstehenden Mann ohne soziales Netzwerk in Kabul

Das VG Meiningen hat in mehreren Fällen bereits entschieden, dass jungen, gesunden, alleinstehenden Männern ohne soziales Netzwerk in Kabul ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu erteilen ist. Damit ändert das Gericht aufgrund der coronabedingten Auswirkungen in Afghanistan seine bisherige Entscheidungspraxis: „Nach Auffassung des Gerichtes ergibt sich derzeit aufgrund der besonderen Lage in Afghanistan wegen der Covid-19-Pandemie und der hiermit in Zusammenhang stehenden Maßnahmen der Regierung, dass Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach ihrer Rückkehr in eine derart extreme Gefahrenlage geraten würden, dass von einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK auszugehen wäre. …] Es ist nach den dort im Moment herrschenden Verhältnissen nicht davon auszugehen, dass es dem Kläger, der über kein soziales Netzwerk in Kabul verfügt, möglich wäre, sich eine neue Existenz aufzubauen, mit der er auch nur in der Lage wäre, seine lebensnotwendigen Bedürfnisse zu sichern.“ (siehe Auszug aus dem Urteil vom 11.5.20 anbei, S. 25-26). Vielen Dank an die Einsender*innen RAin Lange aus Gera und RA Ludewig aus Leinfelde!


Informationen zu diversen Herkunftsländern und dortigen Auswirkungen durch die Corona-Pandemie hat Pro Asyl zusammengestellt:https://www.proasyl.de/news/abschiebungsmoratorium-jetzt-lage-in-vielen-herkunftsstaaten-durch-corona-stark-verschlechtert/

 

Urteil VG Braunschweig: Überstellung auch von jungen arbeitsfähigen Männern nach Italien nicht verantwortbar

Das VG Braunschweig hat am 21.04.2020 – AZ 3 A 112/19 – u.a. unter Verweis auf das Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus Januar 2020 entschieden, dass aufgrund der zunehmenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Italien nunmehr eine Situation eingetreten sei, die auch die Überstellung von jungen und arbeitsfähigen Männern nicht mehr verantwortbar erscheinen lasse. Personen, die in Italien schutzberechtigt sind, seien in Italien von Obdachlosigkeit und sozialer Verelendung bedroht. Die Arbeitslosenquote liege für 15 – 29jährige bei 28%. Die ohnehin schon schwierige Lage habe sich durch die Pandemie nochmals drastisch verschlechtert. Der Betroffene fände sich in Italien in einer für ihn nicht mehr beherrschbaren Notlage wieder, der er nicht entrinnen könne. Aufgrund der fortbestehenden und für Obdachlose noch gesteigerten Gefährdung durch das Virus Covid 19 sei auch eine gesundheitliche Gefährdung gegeben.  Insofern wäre eine Überstellung nach italien einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK / Art. 4 GRC. Der 10. Senat des nds. Oberverwaltungsgerichts Lüneburg hat den Antrag des BAMF auf die Zulassung der Berufung mit Entscheidung vom 29. Mai 2020 – 10 LA 114/20 – zurückgewiesen. (Quelle: Infomail des Flüchtlingsrat Niedersachsen)


VG Cottbus zur Frage der Monokausalität der unterlassenen Mitwirkungshandlung im Rahmen der „Duldung light“ nach § 60b AufenthG

VG Cottbus (9 L 134/20) im Beschluss vom 28.05.2020: Das VG Cottbus bejaht, dass die Identitätstäuschung/ Nichtmitwirkung bei der besonderen Passbeschaffungspflicht die einzige Ursache für die Nichtvollziehbarkeit der Abschiebung sein muss. … und damit kann es nach Auffassung dieses Gerichts keine „Duldung light“ geben, wenn die Vollziehung der Abschiebung auch aus anderen Gründen scheitert, z. B. wegen fehlender Flugverbindungen. Das VG tritt mit dieser Entscheidung in offenen Widerspruch zu den Anwendungshinweisen des BMI (Quelle: Infomail der Diakonie Mitteldeutschland)


LSG Schleswig: Beschluss vom 15.06.2020, L9AY78-20 B ER zu § 1 a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG (Leistungskürzung)

Zum Sachverhalt: Afghanische Flüchtlingsfamilie mit minderjährigen Kindern, Anerkennung in Griechenland, Zulassungsverfahren OVG läuft, aufschiebende Wirkung wurde festgestellt; erhalten Kürzung nach § 1 a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG, dann aufgrund Corona-Pandemie Leistungen nach § 3 AsylbLG, obwohl länger als 18 Monate im Bundesgebiet. LSG: Pflichtwidriges Verhalten erforderlich, Einreise ins Bundesgebiet ist nicht pflichtwidrig. § 2 AsylbLG-Leistungen sind zu gewähren (Quelle: RAin Vollrath, Kiel)

 

Dublin-Verfahren

Quelle: https://www.proasyl.de/hintergrund/newsticker-coronavirus-informationen-fuer-gefluechtete-unterstuetzerinnen/

 

18.06.2020, Erste Widerrufe der ausgesetzten Dublin-Abschiebungsanordnungen verschickt

  • Wie vom BAMF angekündigt (s.u.), wurden die ersten Widerrufe zur Aussetzung der Abschiebungsanordnung an Personen mit Dublin-Bescheiden für die Niederlande, Tschechische Republik, Frankreich und Belgien verschickt.
  • Aufgrund von aufgehobenen Reisebeschränkungen werden Abschiebungen daher zum Teil wieder möglich.

 

15.06.2020, Dublin-Überstellungen werden wieder aufgenommen

  •  Mit BMI-Erlass vom 12.06.2020 sollen Dublin-Überstellungen ab dem 15.06.2020 von und nach Deutschland wieder durchgeführt werden.
  •  Die Überstellungen sollen stufenweise erfolgen: Zunächst sind Rückführungen in Deutschlands Anrainerstaaten auf dem Landweg und später auch Überstellungen in Nicht-Anrainerstaaten auf dem Luftweg, vorzugsweise durch Chartermaßnahmen, geplant.
  • Das BAMF hat angekündigt, den Widerruf der Aussetzung der Abschiebungsanordnung in jedem Einzelfall den betroffenen Antragstellenden bzw. deren anwaltlicher Vertretung zu zuschicken.

 

Praxishinweise von Pro Asyl: https://www.proasyl.de/hintergrund/praxishinweise-zur-aktuellen-aussetzung-von-dublin-ueberstellungen-und-ueberstellungsfristen/

 

Neuer Bericht zu Bulgarien: „Bulgaria is very bad“ ist eine typische Aussage jener, die auf ihrer Flucht bereits etliche Länder durchquert haben. Der vorliegende Bericht geht der Frage nach, warum Bulgarien seit Langem einen extrem schlechten Ruf unter den Geflüchteten genießt. Hierzu wird kenntnisreich die massive Gewalt nachgezeichnet, die Bulgarien im Zuge sogenannter „Push-Backs“ anwendet. Auch auf die intensive Kooperation mit der Türkei beim Schutz der gemeinsamen Grenze wird eingegangen. Da die Inhaftierung von Geflüchteten in Bulgarien obligatorisch ist, werden überdies die rechtlichen Hintergründe hierfür und die miserablen Haftbedingungen beschrieben. Weiterhin wird das bulgarische Asylsystem thematisiert und auf die besondere Situation von Geflüchteten eingegangen, die im Rahmen der Dublin-Verordnung nach Bulgarien abgeschoben wurden. Das bulgarische Integrationskonzept, das faktisch nur auf dem Papier existiert, wird ebenfalls beleuchtet. Download: https://bordermonitoring.eu/berichte/2020-get-out/

 

Inhaber*innen von ablaufenden bzw. abgelaufenen Schengen-Visa sind bis zum 30.09.2020 vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit

Durch Verordnung vom 17.06.2020 sind Inhaber*innen von ablaufenden und abgelaufenen Schengen-Visa vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet befreit – auch bei einer Durchreise zum Zweck der Ausreise. Die Verordnung umfasst Personen, die sich am 17.03.2020 mit gültigem Schengen-Visum in Deutschland aufgehalten haben oder die nach dem 17.03.2020 und bis zum Inkrafttreten dieser Verordnung mit gültigem Schengen-Visum eingereist sind, und die sich am 30.06.2020 im Bundesgebiet aufhalten. Die entsprechenden Personengruppen sind bis zum 30.9.2020 vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit. Quelle: https://www.proasyl.de/hintergrund/newsticker-coronavirus-informationen-fuer-gefluechtete-unterstuetzerinnen/



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