Offener Brief | 23.04.19 | „Intransparenz des behördlichen Vorgehens im Saalekreis aufklären“

Offener Brief an Kreistag, Kreisverwaltung und die Öffentlichkeit im Saalekreis:

Intransparenz des behördlichen Vorgehens im Saalekreis aufklären

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Mitglieder des Kreistages,

von beobachtenden Unterstützer*innen und Leistungsempfänger*innen nach AsylbLG wurde uns folgender Sachverhalt geschildert, der Anlass zu diesem offenen Brief an Sie als Kreistagsvertreter*innen gibt. Laut Herrn Rosenstein, Leiter des Ausländeramtes, fand am 05.03.2019 eine polizeiliche Maßnahme gemäß § 11 Abs. 3a AsylbLG statt. Die Art und Weise der an dem Tag vollzogenen polizeilichen Maßnahme erscheint uns frag- und kritikwürdig. Als die leistungsberechtigten Personen mit Duldung am Ausländeram ankamen und ihre Wartenummer gezogen hatten, wurden ihnen ohne Erklärung die Ausweise und Nummern entzogen. Sie wurden von Polizeibeamten aufgefordert, in einem gesonderten Zimmer ihre Fingerabdrücke abzugeben, bevor sie zu den zuständigen Sachbearbeiter*innen ihres Leistungsempfanges gehen konnten. Mindestens eine
Person berichtet zusätzlich von einer Taschendurchsuchung.
Sinn und Zweck dieser Maßnahmen wurde den betroffenen Personen zu keinem Zeitpunkt kommuniziert. Auf einzelne Nachfragen wurde erklärt, dass die Bundespolizei eine Kontrolle durchführe. Laut der Aussagen der Leistungsempfänger*innen hat es keine weitere Erklärung des Prozedere gegeben. Es fand auch keine Übersetzung, keine Rechtsbelehrung oder angemessene Erklärung über die Gründe oder den Ablauf der polizeilichen Maßnahmen statt. Vielmehr wurde nach dem subjektiven Empfinden der Betroffenen eine bedrohliche Atmosphäre hergestellt. Ein hohes Aufkommen von Polizist*innen, ausgestattet mit Handschellen und Waffe, beförderte diese einschüchternde Wirkung.
Die Ausweise, die für den Leistungsempfang vorgewiesen werden müssen, wurden den Leistungsempfänger*innen erst nach der polizeilichen Maßnahme und erneuter Wartezeit ausgehändigt – ebenfalls ohne Erklärung. So entstand für viele Personen der Eindruck, sie müssten erst Fingerabdrücke abgeben, um dann Ausweis und Leistungen zu bekommen – sprich: kein Leistungsempfang ohne Speicherung des  Fingerabdrucks. (Zu diesen und weiteren Eindrücken haben wir dem Brief eine Auswahl von Äußerungen betroffener und anwesender Personen beigefügt) Gute Gründe für die Intransparenz des Vorgehens der beteiligten Behörden können wir nicht erkennen – den damit ausgeübten Druck und die erzeugte Angst kritisieren wir scharf. Die betroffenen Personen haben ein Recht auf möglichst umfassende Aufklärung darüber, warum welche Maßnahmen vollzogen werden. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen, die sensible persönliche Daten betreffen, wie das Erfassen und Speichern ihrer Fingerabdrücke. Die Verständlichkeit und die Transparenz von polizeilichen Maßnahmen sollten durch die beteiligten Behörden sicher gestellt werden, ggf. mithilfe einer Sprachmittlung. In solchen, mitunter bedrohlich erscheinenden Situationen ist dies das Mindestmaß für den nötigen Respekt und nicht zuletzt der Rechtsstaatlichkeit.

Wir appellieren an den Kreistag, die beschriebenen Vorgänge aufzuarbeiten und umfassend aufzuklären, mit der zusätzlichen Bitte um eine juristische Überprüfung und Einschätzung der Rechtmäßigkeit bezüglich der Form des Vorgehens, insbesondere der beschriebenen Intransparenz. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen: Die Aufnahme von Fingerabdrücken stellt kein mildes Mittel dar und sollte nur in Fällen belegbaren Betrugs eingesetzt werden, sofern keine sonstigen angemessenen Mittel zur Verfügung stehen.

Vor diesem Hintergrund wünschen wir uns behördliches Handeln zum Aufbau eines professionellen Vertrauensverhältnisses zwischen Behörde und Leistungsempfänger*innen im Saalekreis.

Mit freundlichen Grüßen
Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.



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