PRESSEERKLÄRUNG DER LANDESFLÜCHTLINGSRÄTE | 28.03.19 | «Wir stellen uns gegen die Orbanisierung!»
Zur Kampagne von BMI, BAMF und CDU/CSU-Fraktion gegen die Flüchtlingsräte:
„Wir stellen uns gegen die Orbanisierung!“
WEITERE INFORMATIONEN https://www.proasyl.de/news/kriminalisierung-der-zivilgesellschaft-jetzt-auch-in-deutschland/
Hintergrund [erstellt von PRO ASYL]:
§ 95 AufenthG-E: Strafvorschriften
In dem Referentenentwurf werden zwei neue Strafvorschriften vorgeschlagen, die je mit bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe bestraft werden können.
Der erste neue Straftatbestand stellt es unter Strafe, die Vollziehung einer bestehenden Ausreisepflicht zu beeinträchtigen, indem man über geplante Maßnahmen zur Identitätsfeststellung ausreisepflichtiger Ausländer mit dem Ziel einer Behinderung derselben informiert (*§ 95 Abs. 2 Nr. 3a) AufenthG-E*). Wie die Gesetzesbegründung erkennen lässt, wird hier den Beratungsstellen unterstellt, dass sie Tipps zur Verschleierung der Identität geben würden. Unabhängige Beratungsstellen erfüllen eine wichtige Funktion im Rechtsstaat, indem sie schutzsuchende Menschen über ihre Rechte und Pflichten aufklären. Insbesondere für Menschen aus anderen Ländern und Rechtssystemen, die dazu nicht die deutsche Sprache sprechen, ist dies sehr wichtig. Das zu Tage kommende Misstrauen des Bundesinnenministeriums gegenüber diesen Beratungsstellen ist äußerst problematisch. Die Formulierung ist zudem so unkonkret, dass selbst BeraterInnen, die ihre MandantInnen beraten und unter Umständen weitere rechtliche Schritte empfehlen, unter diesen Straftatbestand fallen könnten.
Zweitens soll die Veröffentlichung von Abschiebungsterminen unter Strafe gestellt werden (*§ 95 Abs. 2 Nr. 3b) AufenthG-E*). Wie die Gesetzesbegründung präzisiert, bezieht sich dies zum Beispiel auf die Verbreitung der Information über Newsletter oder in den sozialen Medien. Die Veröffentlichung von Abschiebungsterminen dient verschiedenen legitimen Interessen. Zum einen bietet es potentiell betroffenen Menschen die Möglichkeit, sich rechtlichen Rat zu holen. Zum anderen sind Abschiebungen, insbesondere jene nach Afghanistan, Teil einer öffentlichen Debatte, die insbesondere durch die Veröffentlichungen angeregt wird.
Das Recht, Informationen zu erhalten und zu verbreiten, sowie die Pressefreiheit sind als Teil des Rechts auf Meinungsfreiheit durch Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz, Art. 10 Abs. 1 EMRK und Art. 19 Abs. 2 IPBPR geschützt. Mit diesen Rechten und dahinterstehenden Interessen setzt sich das Bundesinnenministerium gar nicht erst auseinander. Die vorgesehenen Einschränkungen dieser Rechte wird mit der „Bewährung des Rechtsstaats“ und des „besonderen Unrechtsgehalts“ des unter Strafe gestellten Verhaltens begründet, außerdem könnte mit der Vorschrift die Weitergabe von vertraulichen Informationen verhindert werden – warum es sich dabei tatsächlich um vertrauliche Informationen handeln soll, wird nicht erläutert. Erforderlich wäre darüber hinaus schon nach ständiger Rechtsprechung des EGMR eine Abwägung, bei der ein öffentliches Interesse an der Information, die vorhanden ist, ein entscheidendes Argument ist.[1]Der Spielraum von Staaten zur Beschränkung der Informationsfreiheit ist besonders eingegrenzt, wenn es um die Pressefreiheit geht, da der Presse eine besonders wichtige Rolle in einer Demokratie zukommt [2]Angesichts des hohen öffentlichen Interesses z.B. an Abschiebungen nach Afghanistan und der Rolle der Medien bei der Veröffentlichung von Terminen von Abschiebungsflügen ist es nicht verhältnismäßig, eine Veröffentlichung dieser Information unter Strafe zu stellen. Auch würde es negative Auswirkungen auf das Demonstrationsrecht haben, da für einen Aufruf zur Demonstration gegen einen Abschiebeflug eben auch der Termin bekannt gegeben werden muss.
Die Vorschläge sind nicht nur als menschenrechtswidrig sondern auch politisch abzulehnen, da sie eindeutig das Ziel haben, eine engagierte Zivilgesellschaft zu kriminalisieren. Dies ist ein besorgniserregender internationaler Trend, der auch im jährlichen Bericht des UN-Sonderberichterstatters zu MenschenrechtsverteidigerInnen 2018 aufgegriffen wurde. Wie der Berichterstatter feststellt, werden UnterstützerInnen von geflüchteten Menschen zunehmend kriminalisiert, was auch einen „/chilling effect/“ haben kann, d.h. eine Abschreckungswirkung, die dazu führt, dass sich weniger Menschen in dem Bereich engagieren.[3]Dies lässt sich besonders auf die erste neue Strafvorschrift beziehen, da diese Regelung Menschen davon abhalten könnte, überhaupt erst mit einer Beratungstätigkeit anzufangen. Auch die Kriminalisierung von Whistleblowern problematisiert der Berichterstatter und empfiehlt, entsprechend die Meinungs- und Informationsfreiheit nicht einzuschränken. [4]
Die vorgeschlagenen Strafvorschriften sind verfassungs- und menschenrechtswidrig und sind ersatzlos zu streichen.
1 Siehe z.B. Niedersachsen Nr. 4.2 unter http://www.mi.niedersachsen.de/download/103512/2014-09-23_Organisation_und_Durchfuehrung_des_Rueckfuehrungs-_und_Rueckueberstellungsvollzugs.pdf
2 Siehe https://www.lto.de/recht/justiz/j/rechtsstaat-sicherheit-gewaltmonopol-polizei-begriff-bedeutung
3 https://www.huffingtonpost.de/entry/afghanistan-kein-krieg-ist-todlicher-warum-deutschland-trotzdem-abschiebt_de_5c1269b3e4b0449012f75bb1
4 https://www.frsh.de/fileadmin/pdf/Aktuelles/UNHCR-Afghanistan-Richtlinie_20180830.pdf
5 BT- Drucksache 19/3886
6 [1] Birgit Daiber, HK-EMRK, 4. Aufl. 2017, EMRK Art. 10, Rn. 63.
7 [2] EGMR, Animal Defenders International v. Großbritannien, Az.48876/08, Urteil vom 22.04.2013, Rn. 102.
8 [3] Human Rights Council, Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights defenders, UN Doc. A/HRC/37/51, 16.01.2018, Rn. 54 f.
9 [4] Ibid., Rn. 55, 66.